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Was sagt man einem Menschen, der trauert? Wie tröstet man? Die erste Geschichte auf dieser Seite ("Eine stille Umarmung") zeigt, dass es nicht vieler Worte bedarf.
In der zweiten Geschichte ("Wo bist du, nachdem du uns verlassen hast?") fragt sich eine Trauernde, wo und wie sie sich den verstorbenen Menschen vorstellen kann und darf. Ist es nicht kindisch, sich vorzustellen, dass der liebe verstorbene Mensch dort irgendwo in den Weiten des Alls eine neue Heimat fand? Der weise Mönch, den man Chrysostomos nennt, was Goldmund heißt, gibt ihr eine Antwort.
In der dritten Geschichte ("Über alle Grenzen hinweg") trifft der ewig kleine Prinz auf dem Friedhof auf einen Trauernden. Der kleine Prinz zeigt ihm, dass man das "Verzeih" noch über die Grenze von Leben und Tod hinüberrufen kann.
Du bist von uns gegangen. Mein Leben ist zerrüttet. Da ist kein Boden unter meinen Füßen. Ich spüre keinen Halt. Ich versuche, das zu ergreifen, was mir je wichtig war. Es verfliegt wie Rauch im Wind.
Was hält mich im Fall? Ich greife ins Leere. Wer hält mich? Man ruft mir liebe Worte zu. Ich höre sie wohl. Sie rauschen vorbei.
Mitten ins Fallen hinein träume ich diese Geschichte:
Ein Mensch macht sich auf den Weg in ein Trauerhaus. Was werde ich sagen, fragt er sich, mit welchen Worten kann ich trösten? Er spielt mit möglichen Sätzen, nimmt sie an, verwirft sie wieder. Vielleicht hilft ein Umweg durch den Park. Dort, auf der einer Bank werde ich innehalten, meine Worte abwägen.
„Ein schöner Tag heute, nicht wahr!“, bemerkt ein Mann im Vorübergehen.
„Ja, wohl wahr, doch ich bin auf dem Weg in ein Trauerhaus. Ich grüble, was ich sagen kann.
„Das wird schon werden!“, ruft der Mann.
„Ich bin auf dem Weg in ein Trauerhaus, unsicher, wie ich trösten kann“, bekennt er der Frau, die sich zu ihm setzt.
„Der Tod gehört zum Leben“, spricht sie, steht auf, „das wäre doch so ein Satz für Sie.“ Und geht.
Da sitzt der Mensch, noch ohne Antwort auf seine Frage. Ein Ball rollt heran. Ein kleiner Junge springt hinterher, greift seinen Ball und schaut. „Bist du traurig?“
„Ein Mensch ist gestorben, ja, ich bin traurig. Und ich bin auf dem Weg zu Menschen, die noch viel trauriger sind.“
Der Junge schaut ihm ins Gesicht, legt seinen Ball beiseite, steigt auf die Bank, umarmt ihn still und fest, steigt hinab, nimmt den Ball und springt davon.
Ergriffen blickt der Mensch ihm nach. Dann setzt er seinen Weg fort, wohl wissend, was er tun wird. Der kleine Junge gab ihm die Antwort.
Man ruft mir Worte zu; sie erfassen mich nicht. Doch ein Blick, der mich versteht, erreicht mich. Ein stiller Händedruck ergreift mich. Eine wortlose Umarmung hält mich.
Text: Frank Maibaum / Aus dem Buch:
"Ich ruf dir meine Liebe zu, ein Dankeschön und ein Verzeih!"
Der kleine Prinz, der vor vielen Jahren den Dichter Saint Exupéry begleitete, rief diesem zum Abschied zu: „Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache.“
Diesen Zuspruch höre ich, wenn ich in den Himmel schaue in sternenklarer Nacht. Ich erahne dich dort in der Ferne geborgen. Hoffnung sinkt aus den ewigen Weiten herab in mein Herz.
Doch wenn mein Blick dann wieder zur Erde sinkt, sage ich mir: Dich in der Ferne zu sehen ist nur ein Wunschtraum meiner Trauer. Wie kindlich ist mein Blick zu den Sternen, dich erahnend, dich hörend durch die Tiefe der Nacht. Darf ich mich solchen Vorstellungen hingeben?
Du bist nicht mehr da! Wo bist du wirklich? Bei solchen Zweifeln und Fragen kommt mir eine Geschichte in den Sinn. Ich erzähle sie dir gern. Ich weiß, dass auch du Geschichten liebst:
„Ich sehe den lieben Menschen, der von mir gegangen ist. Ich spüre ihn. Ich höre ihn. Ich spreche zu ihm. Doch darf ich mich solchen Tagträumen hingeben. Er ist doch nicht mehr da! Sollte ich mir nicht sagen: Träume nicht! Löse dich! Er ist fort für immer! Aber wo ist er und wie?“
Diese Fragen bewegen eine Trauernde. Man sagt ihr, es gebe einen Mönch, der die tiefen Fragen des Lebens beantworten könne wie niemand sonst. Doch dieser Mönch lebt in einem Kloster oben auf dem höchsten Berg eines fernen Landes. Ein beschwerlicher Pfad, den man nur zu Fuß erpilgern kann, führt zu ihm.
Doch die Sehnsucht in ihr, eine Antwort auf ihre Fragen nach dem Jenseits zu erhalten, ist stark. So überwindet sie die Entfernung und alle Hindernisse.
Sie steht schließlich vor dem Mann, den man Chrysostomos nennt, was Goldmund heißt.
„Ich sehe den geliebten Menschen“, erklärt sie ihm. „Ich sehe ihn in den Weiten des Alls, in den fallenden Blättern, in den Strahlen der Sonne. Ich höre ihn im Rauschen der Ähren, im Brausen der Wellen, im Lärm der Großstadt. Ist das seltsam? Darf ich so träumen? Und wenn nicht, wo ist er wirklich?“
Der Blick des Chrysostomos schweift über die Sammlung seiner Bücher.
Sie folgt seinem Blick. Sie sieht Geschichtsbücher und Bücher mit Geschichten, Weisheitsbücher, Sammlungen von Gebeten, Sprichwörtern und bedeutenden Reden. Sie spürt, dass ihm all diese Bücher vertraut sind. Sie will ihre Hand ausstrecken, um das entgegenzunehmen, das ihre Fragen stillt.
„Du fragst mich“, sagt Chrysostomos in die erwartungsvolle Stille, „doch ich bitte dich, schau zunächst in dich hinein. Gib erst selbst eine Antwort!“
„Den lieben Menschen so zu sehen, zu hören, zu fühlen ist so tröstlich“, sagt die Trauernde.
„Mehr noch?“, fragt der Mönch.
„So liebevoll“, fährt sie fort, „so beruhigend, so heilsam. Es ist gut und wahr. Ich spüre Hoffnung, doch …“
„Du hast die Antwort auf deine Fragen gefunden“, wirft der Mönch ein, den man Goldmund nennt.
„Aber das ist nur, was in mir ist! Ich frage dich in deiner Weisheit, ich frage nach endgültiger Wahrheit. Wo ist der Mensch, der uns verlassen musste? Was darf ich hoffen? Was darf ich träumen? Was muss ich glauben?“
Der Mönch blickt sanft auf die Trauernde. „Du fragst wieder mich. Doch du hast gesehen, dass die Wahrheit in dir wohnt. Wenn es um Fragen geht, die im Tiefsten bewegen, Fragen um Trauer sowie Liebe, um Sehnsucht, Hoffnung sowie den Schmerz der Seele, dann findet der Mensch Antworten nur in sich. Tut mir leid, dass du den weiten, beschwerlichen Weg auf dich nehmen musstest.“
„Schon gut“, verabschiedet sich die Trauernde. „Ich danke dir, der Weg war nicht zu weit. Es war ein bedeutender Weg. Es war der Weg zu mir! Ich habe gefunden, was ich suchte.“
Ich sehe dich nun gut und gern am Himmelszelt jenseits des Regenbogens, hinter dem Horizont, im Land des ewigen Friedens, wo kein Schmerz herrscht, keine Sorge, in den Weiten der Glückseligkeit.
Texte: Frank Maibaum / Aus dem Buch:
"Ich ruf dir meine Liebe zu,
ein Dankeschön und ein Verzeih!"
Als du im Sterben lagst, blieb manches ungesagt. Ich hätte dir zum Abschied gern noch verziehen, dich gern um Verzeihung gebeten. Hätten wir doch noch mehr Zeit miteinander gehabt. Hätte ich noch mehr Kraft gehabt. Ich war auch unbeholfen, auszusprechen, was uns noch auf der Seele lag. In diesem Schmerz des Unterlassenen erinnere ich mich an eine Geschichte:
„Hier ist es so ruhig, so friedvoll“, sagte der ewig kleine Prinz zu dem Mann, dem er schon an mehreren Tagen auf dem Friedhof begegnet war. Bedrückt war dieser die Friedhofswege gegangen.
„Ja“, sagte der Mann.
„Hier findet ihr Menschen Frieden“, fuhr der kleine Prinz fort.
„Ich kann den Frieden nicht finden“, antwortete der Mann. Und nach einigen Augenblicken der Stille, in denen nur das Schlagen einer fernen Turmuhr zu vernehmen war, ergänzte er: „Bevor sie starb, bevor sie für immer ging, sah ich in ihren Augen die Sehnsucht, die Sehnsucht nach Versöhnung. Die Sehnsucht, bedingungslos geliebt zu werden, die Sehnsucht, zum Abschied umarmt zu werden. Ich habe nur dagestanden. Ich habe mich nicht gerührt.“
„Du hast die Sehnsucht gespürt“, verstand der Prinz.
„Oh ja, das habe ich, und wie ich sie spürte. Da war nichts anderes in diesem Augenblick. Ihre Sehnsucht füllte den Raum. Ich stand nur da, dann ließ ich sie mit dieser Sehnsucht allein. Doch ihr Blick ist noch da und schaut mich an, bei Tag und bei Nacht. Es ist zu spät. Dort drüben liegt sie nun im Grab. Es ist zu spät.“
„Manchmal ist es zu spät für das, was wir versäumen“, sagte der kleine Prinz bedächtig, „Zeit lässt sich nicht zurückdrehen.“
„Ich hatte zu wenig Erfahrung im Umgang mit Sterbenden. Ich hätte frühzeitig etwas darüber lesen sollen“, sagte der Mann.
„Und dein Herz?“, fragte der Prinz.
„Mein Herz spürte die Sehnsucht, aber ich hatte zu wenig Erfahrung.“
„Zu wenig Erfahrung“, wiederholte der kleine Prinz leise. Zu wenig Erfahrung mit dem Herzen, seltsam, dachte er. Ein Leben lang schlägt das Herz der Menschen, schon im Mutterleib, vom ersten Augenblick ihres Seins bis zur letzten Sekunde. Das Herz ist ihr Mittelpunkt, es ist ihr Leben. Aber sie haben zu wenig Erfahrung mit ihrem Herzen. Manchmal leidet es, manchmal schreit es auf, doch sie hören ihr Herz nicht. Wenn sie es hören, lassen sie sich nicht davon bewegen, als wären sie starr, nicht lebendig. So verpassen sie die bedeutendsten Augenblicke ihres Lebens, die Menschen, dachte der ewig kleine Prinz.
„Wenn ich noch einmal die Gelegenheit hätte“, sagte der Mann.
„Ich glaube, wenn ein Mensch auf sein Herz hört, wird die Vergangenheit ihn nicht würgen; sie wird sich mit ihm versöhnen und ihn auf neuen Wegen in die Zukunft tragen“, sagte der ewig kleine Prinz zum Abschied. Er musste weiter, um noch viele Menschen kennenzulernen, um mehr zu erfahren über Liebe und Leid, über Sehnsüchte und Hoffnungen, über alles, was die Menschen tief im Herzen bewegt.
Er blickte noch einmal zurück, sah den Mann ans Grab treten, hörte ihn sprechen: „Über die Grenze von Leben und Tod hinweg schließe ich dich in die Arme, bedingungslos. Ich halte dich. Wenn es etwas zu vergeben gibt, vergebe ich. Wenn du noch etwas sagen möchtest, höre ich dich. Ich drücke dich – über die Grenze von Leben und Tod.“
Die ferne Turmuhr schlug.
Ich denke an diese Geschichte, weil ich mich in ihr wiedererkenne. Ich hätte dir auch gern vieles noch gesagt und viel von dir gehört. Ich war zu unbeholfen. Verzeih!
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